München ist bekannt für das Münchner Bier und das Oktoberfest. Was gerne übersehen wird, ist, dass München in den letzten Jahren auch einige der größten und vielfältigsten Protestbewegungen Deutschlands hervorgebracht hat
Wir haben mit drei jungen Menschen aus München gesprochen, die sich alle in verschiedenen Initiativen und politischen Bewegungen engagieren und sie gefragt, welche Besonderheiten, Schwierigkeiten und Möglichkeiten München für politische Arbeit bietet.
Wir stellen unsere Gesprächspartner:innen vor
Elisabeth B. ist 15 Jahre alt, geht in die 9. Klasse eines Gymnasiums in Kirchseeon und ist seit Januar 2020 bei FridaysForFuture-München aktiv. Außerdem engagiert sie sich in einigen kleineren Bündnissen in ihrem Landkreis zu Frauenrechten und gegen Antisemitismus.

Ben ist 33 und im Münchner Umland aufgewachsen. Er ist seit einigen Jahren wieder politisch in München aktiv . Er engagiert sich bei ZeroCovid-München, der “solidarischen Nachbarschaftshilfe” und “Solidarität statt Verschwörungswahn”. 2018 hat er auch die Proteste gegen die Novellierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (kurz NoPAG) mitorganisiert.
Jiréh Emanuel ist 26 und wohnt, seit er 10 Jahre alt ist, in München. Geboren ist er in Frankfurt am Main. Er ist als Musiker und Aktivist in München tätig. Er hat die Kampagne N-Wort stoppen in München ins Leben gerufen und dazu einen Song geschrieben: “The Story of J.J”.
Politisch war er schon immer. Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen sowie rassistische Übergriffe, die er als „Schwarzer, Afrodeutscher und Exilhesse” erfahren musste, bestärkten ihn in dem Willen, „gegen Ungerechtigkeit und die Zustände zu kämpfen”.
München Weißwurstmetropole und CSU-Hauptstadt, was noch?
München ist kein leichtes Pflaster für politisches Engagement. Im Gegensatz zu Berlin oder Hamburg, wo Politik zum Alltag der meisten Jugendlichen gehört und Protestaktionen zum Stadtbild, haben es Aktivist:innen in München nicht besonders leicht. Zumindest empfinden Ben und Jiréh das so:
Was ich schwierig finde an München ist, dass es eine sehr autoritäre Stadt ist. Viel Polizei, sehr repressive Atmosphäre, sehr konservativer Habitus, generell wenig alternatives Leben. […] In München merkt man sehr schnell, wenn man sich politisch organisiert, dass die Angst vor Repression ein sehr großes Thema ist. ”
Ich kenne München als offen konservativ. Ich glaube, das trifft es sehr gut, es hält sich sehr die Waagschale zwischen liberalem Livestyle und konservativen Wertvorstellungen. […] München ist bunt, München gibt sich gerne weltoffen, aber hier gibt es viel offenen Rassismus, allerdings oftmals auch unterschwellig subtil [und] die einzelnen Bürger:innen und die Organe der Stadtregierung haben rassistische Tendenzen, sei es strukturell oder institutionell.”
Genau das kann aber auch eine Motivation sein, um sich zu engagieren, so Ben:
Gerade eben, weil die Stadt so wenig alternatives Leben hat und einen so konservativen Habitus macht es auch besonders Sinn, sich hier politisch zu engagieren.”
Die Seite, von der sich München für einige ihrer Einwohner:innen zeigt, ist keineswegs die alleinige Wahrheit. Jeder Mensch nimmt München anders war. Viele Jugendliche nehmen vor allem den repressiven und reichen Charakter der Stadt war. Viele andere nehmen München dagegen als eine kulturelle Metropole war.
So erinnert sich Elisabeth beispielsweise:
Es war groß und es gab viele Museen, in die wir mit unserer Oma immer reingegangen sind. Auch teilweise in Kinderkonzerte. […] Das Kulturangebot in München fand ich immer supertoll, sowohl die Museen als auch das Musikangebot. Da ist dir in München einiges geboten.”
FridaysForFuture-Bewegung und BlackLifesMatter-Demonstration
Politisch hat sich in den letzten Jahren für junge Münchner:innen einiges verändert. Sehr unterschiedliche Protestkulturen sind entstanden, die auf bereits bestehendes aufgebaut haben.
Sie haben eine breite Öffentlichkeit angesprochen und Münchens unerwartetes Potenzial zum Vorschein gebracht. Die FridaysForFuture-Bewegung hat in München eine der größten Ortsgruppen und die BlackLifesMatter-Demonstration am 6. Juni war die größte in ganz Deutschland.

Elisabeth erklärt, was besonders an der Münchner F4F-Ortsgruppe ist:
Da die OG München so groß und erfahren ist, können wir nicht nur sehr große Demos organisieren, wir haben auch Kapazitäten, um langfristig Pressearbeit zu leisten, bei Vorträgen und Podiumsdiskussionen präsent zu sein und sogar direkt mit Abgeordneten in Kontakt zu treten. In anderen kleineren Ortsgruppen ist das nicht immer so leicht.”
Jiréh über die BLM Demo:
Ich bin stolz Münchner zu sein. Mein Stolz auf unsere Stadt ist daraus gewachsen, dass wir am 6. Juni 2020 alle gemeinsam ein Zeichen gegen Hass, rassistische Gewalt und Menschenfeindlichkeit gesetzt haben.”
Ben über Zivilgesellschaft in München:
An München fand ich immer sehr angenehm, dass wenn Naziaufmärsche, PEGIDA-Proteste oder Auftritte von AFD-Sprechern stattfanden, es klar war, dass sich dem eine breite Zivilgesellschaft entgegenstellen würde und die Stadt einen antifaschistischen Grundkonsens hat.”
Moderne Geschichte der Bewegungen und aktuelle Proteste
FridaysForFuture-München geht seit Dezember 2018 in München auf die Straße. Was mit 20 Menschen in eisiger Kälte am Max-Joseph Platz begann, gipfelte am 20.9.2019 in einer der größten Demonstrationen der modernen Münchner Geschichte mit über 40.000 Teilnehmenden. Die FridaysForFuture Bewegung kam in München allerdings nicht einfach aus dem Nichts.
Im Frühjahr 2018 im Kontext des Wahlkampfes gab es eine Serie von Großdemonstrationen, die alle zwei bis drei Monate Zehntausende Menschen auf die Straße brachte.” , erzählt Ben.
Zu dieser Zeit wurde ein Gesetzesentwurf zur Verschärfung des bayerischen PAGs auf den Weg gebracht. Die Protestbewegungen, die gegen diesen Entwurf organisiert wurden, wurden nicht zuletzt von Jugendlichen mitorganisiert. Es entstand eine NoPAG-Jugend und verschiedene künstlerische Initiativen. Das Engagement, das in diesem Zeitraum mobilisiert wurde, politisierte viele junge Menschen, die noch heute in München aktiv sind. Dazu Ben:
In den Protesten von 2018 haben sich viele Menschen politisiert und gerade für jüngere Menschen war das ein Moment, in dem viele zum ersten Mal politisch aktiv geworden sind. Heute treffe ich viele Leute wieder, die damals in die Politik eingestiegen sind und sich jetzt längerfristig engagieren.”
Jiréh über den Sommer 2018:
Das Engagement um NoPAG hat mich berührt, ich fand es krass, dass Menschen aufgestanden sind.”
Der Sommer von 2018 war für viele zwar ein motivierendes und besonderes Ereignis, aber schlussendlich orientierten sich die meisten in verschiedene Richtungen und arbeiten heute an ihren eigenen Themen.
Klimapolitik dominierte lange das Protestbild der Stadt. #ausspekuliert mobilisierte zu Großdemonstrationen gegen zu hohe Mietpreise und #wirhabenssatt und #ausgehetzt waren ebenfalls sehr erfolgreich in München. Inzwischen liegt der Fokus natürlich auf der Coronapolitik, aber das bedeutet nicht, dass andere Themen keine Aufmerksamkeit bekommen.
Kampagne N-Wort stoppen
Die Kampagne N-Wort stoppen bekommt in München gerade sehr viel Aufmerksamkeit. In den letzten Wochen hat Jiréh mit 5 verschiedenen großen Medien gesprochen, darunter die SZ und der BR.
Das Interview mit der SZ wurde sehr prominent im Jugendteil der Zeitung abgedruckt. Es erhielt sogar einen Platz im “Münchner Fenster”, den Bildschirmen in den U-Bahnen und Haltestellen. Mit der Kampagne wollen Jiréh und seine Mitstreiter:innen erreichen, dass das N-Wort auf lokaler Ebene geächtet und auf Bundesebene kriminalisiert wird. Am 25. Mai 2021 wird der Migrationsbeirat über den Antrag abstimmen.
Wenn er angenommen wird, wollen sie diesen an die Vollversammlung des Stadtrates empfehlen. Dieser hat dann drei Monat Zeit, diesen anzunehmen.
Jiréh erklärt die Beweggründe, das N-Wort zu ächten:
Das N-Wort leitet sich aus dem Spanischen bzw. Portugiesischen ab und wurde in der Kolonialzeit genutzt, um Schwarze zu entmenschlichen, um sie als dümmlich, faul und minderwertig darzustellen, um eine Rechtfertigung zu schaffen, diese zu versklaven und auszubeuten. […] Das N-Wort hat auch bis heute keinen positiven, neutralen oder rein deskriptiven Charakter, sondern war von Anfang an mit diesen negativen Stereotypen, die koloniale und rassistische Denkmuster vertreten, verknüpft.”
Jiréh
Die Gespräche haben uns einen sehr interessanten Einblick in die Motivationen der jungen Erwachsenen, die in München aktiv und politisch engagiert sind, gegeben. Das Bild, das so viele Menschen in Deutschland von München haben, hat zwar seine Rechtfertigung und seine Gründe, aber schlussendlich ist München doch eine Stadt, die eine Jugendkultur erblühen lassen kann. Zumindest wenn diese von den Jugendlichen gefordert und erkämpft wird.
Der nächste Artikel wird der Frage nachgehen, ob das auch so geblieben ist, nachdem die Covid-19 Pandemie in der Stadt angekommen ist. Wir haben die gleichen Menschen gefragt, was sich durch Corona verändert hat in der Stadt und im politischen Leben der Stadtjugend.
Sehr spannend!