Sophie Scholl – Studentin, Widerstandskämpferin und heute hundertjähriger Mythos. Die Mitgleider der Weißen Rose – Kurt Huber, Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf, Sophie und Hans Scholl, und viele weitere, mutige, intellektuelle, christliche und junge Menschen. Alle schrieben und lasen sie Illegales, studierten oder lehrten, lebten und starben in München.
Welche Spuren haben sie in München hinterlassen und wie haben sie die Geschichte der Stadt geprägt? Was lehrt uns die Geschichte der Weißen Rose über unsere Stadt? Wie können wir die Geschichte der Weißen Rose überhaupt begreifen, ist das noch Historie oder ist das schon Legende?
Wer war Sophie Scholl?
Vor hundert Jahren, am 9. Mai 1921 im schwäbischen Forchtenberg, wurde Sophia Magdalena Scholl geboren. Im Jahr 2021 wird ihr vielfältig und auf verschiedenste Weisen gedacht, doch wem wird heute gedacht?
Wenn wir heute an Sophie Scholl denken oder über Sophie Scholl lesen, dann denken wir an und lesen über ein Symbol, einen Mythos, eine Lichtgestalt, die uns schwer greifbar, übermenschlich erscheint.
Doch schlussendlich war Sophie ein Mensch – menschlich, mit vielen Facetten, Widersprüchlichkeiten, manchmal aufbrausend, ehemals überzeugte Anhängerin des Nationalsozialismus. Ihre Menschlichkeit wird häufig unter den Tisch fallen gelassen bei der Frage: “Wer war Sophie Scholl?”
Konsesnheilige, Ikone – oder doch nur ein normaler Mensch?
Robert Zoske nannte Sophie Scholl eine “Konsensheilige” im Gespräch mit der SZ. Je nachdem, wer fragt bzw. antwortet, gibt es eine lange Reihe von unterschiedlichen Interpretationen über die Person hinter der Figur.
Mitverantwortlich für das in Deutschland vorherrschende geglättete Bild von der emanzipierten, widerspruchsfreien und ihr Leben lang auf dem direkten Weg in den Widerstand wandelnden jungen Frau, ist ihre Schwester Inge Aicher-Scholl.
Diese schrieb im Jahr 1952 ein Buch, welches das Fundament für die Darstellung von Sophie Scholl, wie wir sie heute gewohnt sind, legte: Eine glatte “Konsensheilige” an der alle Kritik abprallt und deren Zitate zu jeder Gelegenheit und für jede Sache verwendet werden können. Egal, welche politische Motivation heute dahintersteckt und aus welchen Umständen sie dekontextualisiert werden.
Jeder und jede kann die bekannten Zitatfetzen für etwas oder gegen etwas anderes auslegen. Das liegt auch daran, dass sie als Identifikationsfigur für die gesamte Weiße Rose in München steht, aber an den meisten Flugblättern nur wenig mitgearbeitet hat. Viele ihr zugeschriebenen Zitate stammen sehr wahrscheinlich gar nicht von ihr und viel wahrscheinlicher von ihrem Bruder.
Was wir über Sophie Scholl wissen
Die Frage Wer war Sophie Scholl lässt sich heute genauso unmöglich beantworten, wie die Frage nach der Persönlichkeit jeder anderen (lange verstorbenen) historischen Figur. Die Persönlichkeit einer Toten kann immer nur fragmentarisch (re-)konstruiert werden, niemals ausreichend, um mögliche Handlungsweisen in einer gegenwärtigen Umgebung abzuleiten.
Was klar ist, ist, dass Sophie Scholl eine, ab einem bestimmten Zeitpunkt, sehr überzeugte Antifaschistin, schon immer Christin und eine mutige junge Frau war. Ihr Antifaschismus war ein sehr religiöser und sie verstand Hitler und die Nazis als die Inkarnation des Bösen, keineswegs als ein politisches Phänomen.
So nannte sich ein Großteil der Angeklagten im Prozess selbst “unpolitisch” (was in der Propaganda der Nazis als “unmännlich” galt). Karl Ludwig Schneider (ein Freund der Gruppe aus Hamburg) sagte, nachdem er im Gefängnis mit Kommunisten gesprochen hatte, er habe dort zum ersten Mal ein politisches Bild über das “dritte Reich” bekommen.
Die Frage Wer ist Sophie Scholl heute dagegen ist deutlich einfacher zu beantworten und in der Art und Weise, wie sie heute wahrgenommen wird, ist die Frage auch bereits beantwortet. Heute ist sie Symbolbild für den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus und so wird sie in der bayerischen Walhalla auch geehrt: “Im Gedenken an alle, die gegen Unrecht, Gewalt und Terror des ›Dritten Reiches‹ mutig Widerstand leisteten.”
Wer oder was war die Weiße Rose?
Die Weiße Rose war ein loser Zusammenschluss Münchener Studenten, vor allem bestehend aus dem Freundeskreis rund um Hans Scholl. Es waren junge Frauen und Männer, die alle aus sehr bürgerlichen Elternhäusern kamen, gute Bildung erfahren hatten und größtenteils sehr religiös geprägt waren.
Sie trafen sich zu literarischen Diskussionsabenden und später auch zu kleinen klandestinen Aktionen, wie beispielsweise das Malen von Parolen an Hauswände gegenüber der LMU in München. Sie verteilten auch Flugblätter im kleineren Kreis, dann per Post und, was sie schließlich den Kopf kosten sollte, warfen Flugschriften in den Lichthof der LMU.
Dort wurden Sie vom Hausmeister entdeckt, an die Gestapo ausgeliefert und am 22. Februar 1943 vor dem Volksgerichtshof verurteilt und noch am selben Tag in München-Stadelheim hingerichtet.
Opfer ihrer Zeit
Für die Weiße Rose lässt sich die Frage, wer sie war, deutlich leichter beantworten. Hier muss ohnehin generalisiert werden, da es sich um einen Zusammenschluss von mehreren Menschen handelte und historische Fakten mehr Aufschluss über die Einordnung in die Zeit geben können.
Christian Petry nennt die Mitglieder der Weiße Rose in seinem Buch Studenten auf dem Schaffot “Opfer ihrer Zeit”. Der Hintergrund, aus dem sie kamen, die unpolitische, religiöse, gutbürgerlich gebildete Familie und deren soziales Umfeld, konnte nur einen ineffektiven Widerstand hervorbringen.
Er beschreibt sie wie folgt: “[Die Weiße Rose hat zu ihrer Zeit] ein äußerstes Zeichen moralischer Integrität gesetzt, dessen politische Wirkungslosigkeit eben wegen des Ranges dieser Moral umso schmerzlicher ist. Als moralische Tat ist die Weiße Rose aus unserer Geschichte nicht mehr auszulöschen.”
Welche Ansichten vertraten die Mitglieder der Weißen Rose?
Die Weiße Rose und ihre Mitglieder beriefen sich in ihrem Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf die “christlich europäische Kultur”. Sie analysierten keineswegs und missachteten sogar bewusst die sozialen, die historischen sowie politischen Umstände des Aufstiegs des Nationalsozialismus’.
So schrieb Sophie Scholl am 5. Sep ‘39 in ihr Tagebuch: “Überlegungen über die Effizienz politischen Handelns [sollten nicht] dieses Handeln selbst bestimmen. […] handeln gegen das Böse, ohne Rücksicht auf Zweckmäßigkeit, ohne Rücksicht auf Leben und Gesundheit.”
Dadurch bildeten sie quasi die Brücke zwischen dem adligen und aus nationalistischen sowie machtpolitischen Überlegungen motivierten Widerstands der Gruppe um Stauffenberg sowie dem Widerstand der sozialistischen Arbeiterbewegung.
In dieser, man könnte fast sagen, Phantasiewelt, in der die Weiße Rose lebte und aus der heraus sie handelten, gab es nur Gut und Böse. Keineswegs soll dadurch der Mut dieser jungen Menschen oder die vorbildlichen Absichten unterschätzt werden.
Es kann aber als Anhaltspunkt dienen, warum die Gruppe heute und seit den Fünfziger Jahren gerühmt wird und andere Widerstandskämpfer wie Georg Elser bis in die Neunziger Jahre kaum bis gar keine Anerkennung erhielten: Die Weiße Rose stellte wegen ihrer moralischen Unangreifbarkeit und christlich, bürgerlichen Tradition die perfekten Held:innenfiguren für die junge BRD dar.
Was verbindet Sophie Scholl und die Mitglieder der Weißen Rose mit München?
Sophie Scholl und die meisten Ihrer Freund:innen studierten in München an der LMU. Sie selbst studierte Biologie und Philosophie seit 1942 bis zu ihrem Tod im Jahr 1943. Bevor sie zum Studieren nach München kam, lebte sie in Ulm.
Es ist davon auszugehen, dass Sophie sich zuerst auf das Studium gefreut haben könnte, dann aber, schockiert von der im wissenschaftlichen Mantel verpackten Propaganda der Rassentheorie, weiter wenig Gefallen an ihrem Studium finden konnte.
Vielleicht gilt das gleiche auch für ihre Ansichten auf die Stadt? München – Studienort und Einführung in das Erwachsenenleben, gleichzeitig Hauptstadt der Bewegung, Ort der politischen Sozialisation mit ihren Kommilitonen, schließlich Aktionsschauplatz und Hinrichtungsstätte.
Welche Spuren finden sich in München von Sophie Scholl und der Weißen Rose?
Die drei wichtigsten Gebäude für das Schicksal der Weißen Rose sind in München weiterhin erhalten und dienen alle dem gleichen Zweck, dem sie schon vor hundert Jahren dienten. Das Hauptgebäude der LMU, das Gefängnis Stadelheim und der Justizpalast. An bzw. in allen drei Gebäuden finden sich Denkstätten, die der Weißen Rose gewidmet sind.
Die Gedenkstätte im Lichthof der LMU wird betrieben durch die Weiße Rose Stiftung e.V.. Hier warfen Hans und Sophie Scholl die Flugblätter, die sie schließlich vor Gericht und auf das Schafott bringen würden.
Der Lichthof ist noch fast genauso erhalten, wie die Geschwister Scholl ihn vor hundert Jahren gekannt haben. Vor der Universität, auf dem Geschwister-Scholl-Platz, gegenüber des Professor-Huber-Platzes, sind marmorne Flugblätter der Weißen Rose in den Boden eingelassen. Das politikwissenschaftliche Institut der LMU ist ebenfalls nach Scholl benannt.
Im Justizpalast ist ein Saal nach der Widerstandsgruppe benannt worden. In diesem befindet sich außerdem eine Dauerausstellung zum gesamten Prozess gegen die 17 Angeklagten im Zusammenhang mit der Weißen Rose.
Das Gefängnis Stadelheim birgt verschiedene historische Gedenkstätten. Eine von diesen ist auch den Mitgliedern der Weißen Rose gewidmet und kann nach Anmeldung besucht werden. Außerhalb der Mauern befindet sich auch ein Denkmal für alle von den Nazis Verfolgten und hier Hingerichteten (insgesamt 1.118 Menschen).
Eine Reihe anderer Orte in München sind außerdem mit den Geschwistern Scholl verbunden oder beherbergen Gedenkstätten an den studentischen Widerstand der Weißen Rose. Etwa der Zaun an der Orleansstraße, wo das berühmte Foto aufgenommen wurde, in dem Sophie ihre Freunde verabschiedet, die gerade an die Ostfront geschickt wurden. Hier werden von Bürger:innen regelmäßig weiße Rosen angebracht.
In der Franz-Joseph-Straße 13 steht das ehemalige Wohnhaus von Hans und Sophie Scholl und in der Mandlstraße 28 ist das ehemalige Wohnhaus von Willi Graf. Im Hofgarten ist eine Gedenktafel an die weiße Rose angebracht und im Perlacher Forst lassen sich die Gräber der hingerichteten Mitglieder der Weißen Rose besuchen, u. a. das Grab von Hans und Sophie Scholl.
Der 100. Geburtstag von Sophie Scholl im Jahr 2021
Die Frage Wer war Sophie Scholl wird heute, ebenfalls anlässlich Ihres hundertsten Geburtstags, von SWR und BR per Instagram beantwortet. Zumindest wird auf dem Channel @ichbinsophiescholl versucht, einer jüngeren Generation die Persönlichkeit der berühmten Figur näherzubringen.
Der Channel basiert auf dem Konzept: “Was würde Sophie Scholl auf Instagram posten?” Hier werden täglich “Neuigkeiten” aus dem Leben Sophies hochgeladen. Dargestellt wird das Leben der jungen Studentin von einer Gruppe Schauspieler:innen und episodisch digitales Tagebuch geführt.
“Das Gedenken an Sophie Scholl wird in München von vielen jungen Menschen mit Leben gefüllt.”, sagte Dr. Hildegard Kronawitter am 9. Mai 2021 auf dem Königsplatz. Hier wurde eine Performance von jungen Schüler:innen aus ganz Bayern aufgeführt, zum Gedenken an Sophies hundertsten Geburtstags.
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